Taubertal100 2019

100 km bis zum Ritterschlag in Wertheim

Bericht über den Ultramarathon Taubertal 100 am 05.10.19

Noch ganz unter dem Eindruck des Laufes bis zum Ziel in Wertheim, mit noch etwas wackeligen Beinen und beim Beantworten der Glückwünsche komme ich erst langsam wieder auf den Boden zurück. Wahrscheinlich haben die Meisten von euch schon ähnliches erlebt, oder?

Eigentlich hat Florian den Anstoß gegeben. Vor etwa zwei oder drei Jahren erwähnte der Ultraläufer meines Vertrauens bei einer gemeinsamen Runde den Taubertal 100 ab Rothenburg immer auf dem Tauberradweg bis nach Bad Mergentheim (mit 50km die Bambinistrecke), in das zauberhafte Tauberbischofsheim (71 km) oder sogar bis Wertheim (nach für mich fast unvorstellbaren 100km). Die ganz Harten können auch bis ins 100 Meilen entfernte Gemünden laufen. Der von mir wegen seines Marathonbuches geschätzte Hubert Beck mit etwa 300 (!) Helfern organisiert diese Veranstaltung ganz hervorragend mit einem liebevollen Rahmenprogramm und bester Streckenverpflegung unterwegs. Erst als Teilnehmer versteht man so richtig, was dieses gut eingespielte und organisierte Team an dieser aufwändigen Punkt zu Punkt Strecke so leistet.

Ich war zwar schon einige Ultras gelaufen, meine letzte Teilnahme am Rennsteiglauf (2012 der Supermarathon mit knapp 73km als längste Strecke) lag aber schon einige Jahre zurück. Nach dem 50. Marathon kamen mir die 42,2 km nicht mehr so reizvoll vor. Auch wenn der Gewinn der AK bei den meisten Marathons seit 2012 einen gewissen Trost darstellte, waren die Zeiten aus den Anfangsjahren mit vertretbarem Trainingsaufwand nicht mehr erreichbar. Verletzungen kamen dazu und wiederholte Läufe waren auch nicht mehr so prickelnd wie beim ersten Mal. Muss ich jetzt nur noch meinen Verfall beobachten oder gibt es da noch eine reizvolle Alternative?

Zum ausprobieren lief ich 2018 beim TT100 die Bambinistrecke bis Bad Mergentheim und fuhr dann mit dem Zug nach Wertheim, um Anke und Jörg am Ziel 100km zu empfangen. Welch eine grandiose Stimmung, mit der jeder Finisher dort begrüßt und anschließend zum Ritter geschlagen wurde! Dieser Eindruck ging mir von da an nicht mehr aus dem Kopf.

Bei der Leistungsdiagnostik im Sommer 2019 (die letzte lag fast 20 Jahre zurück) sahen Werner und Bernd keinen Grund, warum ich die 100km nicht laufen sollte. Beide redeten mit zu. Bernd brachte seine Empfehlung auf den Punkt: "Wenn nicht du, wer dann?". Das tat schon gut.

Bis zur Anmeldung bei Hubert waren es dann nur einige Klicks. Noch drei Monate bis zum Start. Hubert Becks Buch über Ultramarathon (sogar mit Bericht und Bildern über den TT100 im vergangenen Jahr) ist umfassend und lässt keine Fragen offen. Wo ist der für mich passende Trainingsplan? Unter den zig Plänen für unterschiedliche Voraussetzungen und Distanzen fand ich allerdings keinen, der zu meinem Wochenrhythmus gepasst hätte. Wie auch? So haut das nicht hin. Mein selbst geschriebener Trainingsplan mit den gleichen Belastungen (oder fast) wie bei Hubert Beck, aber einem festen Wochenraster löste das Problem dann einfacher als erwartet.

Ich hatte mich allerdings nur für die 71km angemeldet. Das sollte zu schaffen sein. Beim TT100 kann aber jeder, der sein gebuchtes Ziel erreicht hat, noch bis zum nächsten Ziel weiterlaufen und sich dort werten lassen. Den Ritterschlag gibt es aber erst ab 100km. Während der anschließenden Trainingswochen nach meinem Plänchen und ohne Verletzungen wurde schnell klar, dass mein wirkliches Ziel der Ritterschlag in Wertheim war. Dazu müsste ich von Anfang an langsamer laufen als mit Ziel Tauberbischofsheim und denn evtl. noch weiter bis Wertheim. Die Ummeldung auf die 100km war dann nur einige Klicks entfernt. Jetzt stimmte alles, auch wenn die 100km mir immer noch unglaublich weit vorkamen. Wenn das man gutgeht...

Anke und Jörg waren als Wiederholungstäter auch in diesem Jahr wieder für Ziel Wertheim gemeldet und nahmen mich mit nach Rothenburg O.T., wo am Samstagmorgen um 6:00 Uhr für alle Teilnehmer wieder der gemeinsame Start sein sollte. Dieses Jahr hatten sich deutlich mehr Starter angemeldet. Beim abendlichen Briefing durch Hubert Beck ist der Saal überfüllt, die anschließende Kartoffelparty (sehr lecker) ausgebucht. Ich treffe Karsten, der schon häufig in meiner Laufgruppe dabei war und jetzt die 50km unter die nur durch Sandalen geschützten Füße nehmen will. Und auf Florian, der erst vor einer Woche zum dritten Mal den Spartathlon gefinished hat und sich nun zur Lockerung noch schnell für die 71km anmeldet.

Zum Abschluss des Tages und als gute Einstimmung auf den Lauf gibt Achim Heukemes mit seinem Vortrag einen Einblick in sein Leben als Ultraläufer und Triathlet. Extremere Läufe, als die die Achim z.B. quer durch einige Kontinente geschafft hat, sind kaum vorstellbar. Achim Heukemes ist wohl der einzige Ultraläufer (zumindest in D), der von seinem Sport leben kann. Und er ist überaus munter, fast mein Jahrgang und steht nun vor mir. Mit Achims Tipps sind wir bereit für den Start am nächsten Morgen. Um 3:45 Uhr ist die Nacht vorbei. Immerhin habe ich die wenigen Stunden gut geschlafen. Nach kleinem Frühstück mit lauter Läufern und der Gepäckabgabe kann sich jeder der will vor dem Hotel eine Fackel nehmen. Den Fackellauf durch das sonst noch schlafende Rothenburg hinunter zur Tauber kenne ich schon vom letzten Jahr. Auch bei dem leichten Regen in diesem Jahr ist der Trab mit den hunderten Fackeln wieder etwas besonderes. Mit einer kurzen Ansprache schickt uns der Ritter (dieses Mal eine Ritterin) auf einem Pferd als Botenläufer auf die Strecke. Der Startbogen mit lauter Musik (keine Häuser in der Nähe) liegt nur einige hundert Meter weiter. Den GPS-Tracker, den jeder bekommen hat, einschalten und schon knallt der Startschuss.

Aufgrund der Wettervorhersage hat Hubert Beck uns lange Laufsachen empfohlen. Fast den ganzen Vormittag soll es regnen und dann zumindest trocken bleiben. Sonne ist nicht vorgesehen, dafür ein frischer Wind. Und so kommt es auch. Nach 18km (in Creglingen) können wir Kleidung abgeben, was aber kaum jemand macht.

Ein Wort zur Streckenverpflegung: Alle 10km erwarten uns zwei Zelte mit ultrageeigneter Verpflegung und Getränken. An jeder Station nehme ich ein Schälchen mit leicht verdaulichem Kartoffelbrei mit Kokosfett, Salz und Chiasamen. Und an den jeweils dazwischen liegenden reinen Getränkestationen jeweils eines von meinen mitgeführten Gels. Das geht gut und bringt mich ohne Hunger oder den von vielen gefürchteten Magenproblemen über die Strecke. Bis Bad Mergentheim kenne ich die Strecke schon. Auch wenn der Weg der Tauber abwärts folgt, ist die Strecke wellig, geht durch einsame Landschaften, durch kleine Ortschaften, durch den Weikersheimer Schlossgarten, den Kurpark in Bad Mergentheim bis zum ersten Ziel in der Fußgängerzone. Kurz danach kann ich noch Carsten zu seinem Zieleinlauf nach 50km beklatschen und gratulieren. Aber weiter, für mich liegt heute die Hälfte der Strecke noch vor mir.

Ab jetzt kenne ich die Strecke noch nicht. Bis Tauberbischofsheim sind es noch 21km. Versuchen wir also einen lockeren Halbmarathon. Ganz so locker laufe ich dann aber doch nicht. Meine Laufuhr, die sich später mit leerem Akku verabschiedet, zeigt deutlich, wie ich langsamer werde. Immerhin brauche ich noch keine Gehpausen. Km 58: jetzt ist es nur noch ein Marathon, dranbleiben! Schon kurz vor Tauberbischofsheim höre ich den Trompeter, der anscheinend jeden Läufer begrüßt. Sehr fein. Der Ort selbst hat ein wunderschönes Zentrum, das sehr dazu einlädt, hier zu bleiben. Ein anderes Mal vielleicht.

Vor mir liegen noch die anstrengendsten 29km bis Wertheim. Man kommt kaum noch durch Ortschaften, sieht nur noch wenige Menschen, die anfeuern könnten. Jetzt kämpfe ich um jeden Kilometer. Zum Glück ist die Strecke bestens ausgeschildert. Anke hatte mich schon vor den zahlreichen Steigungen auf den letzten 20km gewarnt. Zu Recht, wie sich nun zeigt. Aber auch die anderen Läufer in meiner Nähe gehen hier aufwärts und versuchen oben wieder anzutraben. Die Versuchung, die Gehpausen noch etwas auszudehnen, wird jedes Mal stärker und das anlaufen in den flacheren Abschnitten immer mühsamer. Jetzt zähle ich herunter, nur noch 12km, bald bin ich einstellig. Das in mir gespeicherte Bild vom Ritterschlag treibt mich weiter. Bald ist es soweit...

Km99, es geht noch etwas. Kurz vor dem Ziel höre ich schon, wie der Sprecher mich namentlich ankündigt. Das Ziel gerade unterhalb der Burg ist etwas versteckt und erst auf den letzten Metern zu sehen. Und dann vor mir der Zielbogen. Geschafft! (In 12h14min) Ich bin überglücklich und genieße die Glückwünsche von Jörg und meinem Freund Adolfo, die mich im Ziel erwarten. Und dann endlich der Ritterschlag zum Ritter von Rothenburg, das Trumm von Medaille vom Burgfräulein umgehängt und zum Abschluss ein Bierchen aus dem Kuhhorn. Einfach wunderschön.

Eine letzte Herausforderung des Tages ist noch der steile Aufstieg zur Burg, wo uns ein zünftiges Ritteressen und später Hubert mit der Siegerehrung erwartet. Jetzt können wir entspannt ratschen über unsere Erlebnisse. Ein würdiger Abschluss des empfehlenswerten TT100.

Helmut Steinke, 08.10.2019

Taubertal Helmut

08.10.2019